«Die vom Duft der Ölfarbe schwangere Luft streicht durch meine Nase. Allmählich dringt der zunächst intuitiv wahrgenommene Geruch in mein Bewusstsein vor. Salzig, schwer, harzig,
süss, scharf, würzig, leicht stechend. Ein dumpfes Grollen und ein feines Kratzen. Gedanken-versunken gleite ich mit den Fingerspitzen und dem Handrücken über den vom Hautleim gespannten Leinenstoff. Rau und zugleich zart fühlt sich die Berührung an. Die Grundierung
aus Hautleim, Titanweiss und Bologneserkreide ist trocken und die frische Leinwand bereit, Farbe aufzunehmen. Die erste Schicht scheint sie beinah gierig aufzusaugen. Es erklingt dieses feine Kratzen und Schaben -zunächst vehement, mit zunehmender Farbmenge immer sanfter werdend, bald eher leichtes Rascheln und Streichen. Schemenhaft erheben sich allmählich
klarer werdende Formen in dem Gewirr aus Farbflächen und leiten meine Augen, die mit
dem Pinsel gemeinsam auf Reisen gegangen sind - mal hintendrein trottend, mal die Führung übernehmend und mit lautem Strich ein Zeichen setzend. Noch eine Schicht. Plötzlich leuchten die Farben auf. Samtig, strahlend, satt, weich. Noch einmal gleiten die Haare der Pinselspitze
in die dicke Farbe auf der Palette und werden durch sanfte, fliessende Bewegungen aus dem Handgelenk auf die Leinwand aufgetragen. So stelle ich mir das Dirigieren vor, mein Pinsel der Taktstock, die Farben ein Ensemble aus Streichern, Bläsern und Pauken. Die vielen Klänge zerfliessen, vereinen sich, begleiten sich gegenseitig. Dabei sind meine Notenblätter hier bloss
eine vage Vorstellung in meinem Innersten, die immer weiter hervortritt, je fortgeschrittener wir im Stück unterwegs sind, das sowohl Vorgabe wie Improvisation gleichermassen in sich vereint. Eine geplante Intuition. Eine strategische Suche nach dem Zufall, einem spontanen Gefühl,
dem Unterbewusstsein. Unter Bewusstsein wird Bewusstes gefasst. Demgegenüber wird das
Unterbewusste nicht erfasst, nicht bewusst. Wo fängt Bewusstes an, wo hört Unbewusstes auf?
Ich erlebe nichts nur bewusst, noch ausschliesslich unbewusst. Grenzen gibt es, zugleich sind
sie fliessend und schwer auszumachen. Was hat dies mit meiner Malerei zu schaffen? Es ist
der Versuch einer Übersetzung von etwas Unbewusstem in das Bewusste. Das Bedürfnis, eine Sprache zu entwickeln, mit der endlich vermittelt, begreiflich gemacht werden kann, was mit Worten allein nicht möglich ist oder mir zumindest nicht zu gelingen vermag. Eine spezifische und zugleich sehr allgemeine Sprache -eine unter vielen -Tausenden? Millionen? Milliarden?
Ich glaube, es gibt auf der Welt so viele unterschiedliche Sprachen, wie es Menschen gibt.
Denn jede Person hat ihre ganz eigene, persönliche, innere Ausdrucksform. Das hier ist
vielleicht meine. Und soviel Missverständnisse wir untereinander auch haben mögen, soviel Verständnis ist dennoch möglich, wenn wir erst einmal unsere eigene Sprache verstehen
gelernt haben und uns auf die der anderen einlassen können und wollen.»